Mittelstandsberatung in Deutschland: Wie sich das Angebot der Mittelstandsberater verändert und verändern muss
Das Herz der deutschen Wirtschaft schlägt im Mittelstand. Er erzielt knapp 40 Prozent aller Umsätze und ist Arbeitgeber von etwa zwei Dritteln aller Beschäftigten. Kein Wunder, dass der Mittelstand von einem Heer von Beratern umworben wird.
In diesem Beitrag wird ein Überblick gegeben, wie sich die Mittelstandsberatung im Laufe der Zeit verändert hat und wo für sie die Reise hingeht.
1 Begriffsdefinition: Was ist Mittelstand?
Sprach man früher vom mittelständischen Unternehmen, so hatte man nur eine ungefähre Vorstellung, wer gemeint war. Man wusste, es sind in Deutschland sehr viele und sie bilden das Rückgrat der Wirtschaft. Inzwischen hat die EU den Mittelstand definiert. Sie spricht von „KMU“, das für kleine und mittlere Unternehmen steht und alle Unternehmen bis 250 Mitarbeiter oder bis 50 Mio. EUR Umsatz oder bis zu einer Bilanzsumme von 43 Millionen Euro umfasst.
2 Wie passen Mittelstand und Beratung zusammen?
Klassischerweise findet Beratung immer dann in einem Unternehmen statt, wenn dort die nötigen Ressourcen zur Lösung eines Problems oder zur Erreichung eines Ziels fehlen. Diese Ressourcen können Zeit oder Know-how sein. Fehlt eines von beiden oder gar beides, dann werden diese Kapazitäten zeitlich befristet von außen dazu geholt. Das beschreibt dann auch zugleich das grundsätzliche Auftragsverhältnis zwischen Berater und Unternehmen: es wird i. d. R. für eine bestimmte Zeit und für ein bestimmtes Thema abgeschlossen.
Anders als die großen Unternehmen und Konzerne steht der Mittelstand der Beratung eher kritisch gegenüber. Es zeichnet den mittelständischen Unternehmer aus, den Glauben zu haben, Dinge besser zu können. Daraus speist sich seine Motivation, eine Firma zu gründen oder zu übernehmen. Damit verbunden ist auch sehr häufig die Auffassung, dies nicht nur besser, sondern auch selbst zu können – und zwar ohne Hinzunahme externer Spezialisten. Das Ziel des Unternehmers ist, das erforderlich Know-how und/oder die erforderliche Zeit zur Lösung eines Problems im Unternehmen selbst bereitstellen zu können. Das ist zunächst einmal ein guter Ansatz. Sobald die Lösungen allerdings schnell vorliegen sollen, stößt dieses Modell an seine Grenzen: Die Suche und Einarbeitung der dafür notwendigen Mitarbeiter gelingt nicht immer schnell genug. Zum anderen ist diese Vorgehensweise betriebswirtschaftlich dann wenig intelligent, wenn es sich um einmalige Aufgaben handelt.
Daher hat sich in den letzten Jahren auch im Mittelstand vermehrt die Sichtweise durchgesetzt, Spezialisten einzubeziehen, und es hat sich ein stabiler Markt der Mittelstandsberatung etabliert. Die Themen, die hier abgebildet werden, sind sehr vielfältig: Personalwesen, Vertrieb, Einkauf, Existenzgründung, Managementsysteme, IT-Beratung, Logistik, Organisation und Prozessberatung, Projektmanagement, Unternehmensnachfolge, Sanierung – um nur einige zu nennen. Prinzipiell bieten externe Berater alle Leistungen an, die ein Unternehmen ständig oder temporär benötigt.
3 Der Einfluss der Steuerberater in der Mittelstandsberatung
Neben diesen Themen gibt es schon seit Jahrzehnten eine Form der Mittelstandsberatung, die der Unternehmer gerne und regelmäßig in Anspruch nimmt. Es handelt sich dabei um die Begleitung durch seinen Steuerberater. Das in vielen Jahren aufgebaute stabile Vertrauensverhältnis nutzen die pro-aktiven Steuerberater in letzter Zeit vermehrt, um über die reine Steuerberatung hinaus Elemente der betriebswirtschaftlichen Beratung mit anzubieten. Damit verbunden sind dann zwar noch keine strategischen, vertrieblichen oder operativen Themen des Unternehmens, aber es wird erkennbar, wie Steuer- und Unternehmensberatung anfangen, sich zu verzahnen, was unter anderem auch in den immer häufiger vorzufindenden Netzwerken zwischen diesen beiden Berufsgruppen bemerkbar wird.
4 Entstehung der Mittelstandsberatung
Die Mittelstandsberatung ist aus Fragen der kaufmännischen Betriebsführung entstanden. Der Umfang unser Steuergesetze führte dazu, dass für fast jedes Unternehmen ein Steuerberater tätig war. Er war neben dem Rechtsanwalt zumeist der erste und einzige externe Berater des Unternehmens.
Mit steigender Komplexität (und auch Bürokratisierung) der Geschäftsmodelle stieg jedoch der Bedarf der kleinen und mittleren Unternehmen nach Spezialwissen. Die großen Unternehmen haben vorgemacht, zu welchen qualitativen und quantitativen Sprüngen sie mit der Unterstützung gleichgroßer Beratungsgesellschaften in der Lage waren. In dieser Zeit, den 80er und 90er Jahren, entstanden, auch in Kooperation mit Universitäten, viele Modelle zur Unternehmensführung und -entwicklung, die sukzessive auch in die Sekundär-Literatur übernommen wurden. Mit steigender Zahl dieser Ratgeber wurde dieses Wissen auch für Mittelständler zugänglich, und das Interesse an der Einführung solcher Methoden im Unternehmen stieg. Was aber tun, wenn weder Zeit noch Wissen zur Umsetzung im eigenen Unternehmen vorhanden sind?
Die Zeit der Mittelstandsberatung war gekommen. Dabei sind zwei wichtige Strömungen zu berücksichtigen. Viele der Berater kamen aus dem Training. Sie hatten also eine große Methodenkompetenz in der Wissensvermittlung, demnach auch ein hohes Sendungsbewusstsein. Was ihnen oftmals fehlte, war die Fähigkeit, sich zugunsten des Themas zurückzunehmen und eine – vom eigenen Wissen abgekoppelte – analytische Bestandsaufnahme durchzuführen. Auf der anderen Seite stiegen ehemalige Fach- und Führungskräfte immer häufiger aus ihren betrieblichen Laufbahnen aus und machten sich als Berater selbständig. Sie brachten jetzt zwar das notwendige Know-how mit, gleichwohl fehlte ihnen häufig das erforderliche methodische Rüstzeug, um jetzt für andere zu arbeiten.
5 Das heutige Erscheinungsbild von Mittelstandsberatern
Mittlerweile hat sich ein stabiles Bild der Mittelstandsberatung herauskristallisiert, das ziemlich genau dem des Unternehmers auf der anderen Seite des Schreibtisches entspricht: methodisch auf der Höhe der Zeit, ohne einer Methode verfallen zu sein, pragmatisch genug, um schnell zu handeln, ohne die Theorie zu vernachlässigen, kommunikationsstark genug, um die Veränderungen danach im Unternehmen umzusetzen, ohne oberlehrerhaft aufzutreten.
Alles in allem lässt sich sagen: Der Mittelstand ist professioneller geworden, und damit sind die Anforderungen an seine Berater gestiegen. Ein hohes Methoden-Know-how beim Berater ist wichtig geworden, ebenso die Fähigkeit zum Projektmanagement. Ohne eine hinreichend große Qualifikation in seinem Spezialgebiet kommt kein Berater mehr aus. Dabei kommt dem Mittelstandsberater zu Gute, dass er meistens aus einer erfolgreichen Fach- oder Führungslaufbahn aussteigt und damit eine profunde Berufserfahrung mitbringt, die es ihm erlaubt, mit dem Unternehmer auf Augenhöhe zu kommunizieren. Er hat eben keine reinrassige Beraterkarriere hinter sich, sondern einen Rucksack voller unternehmerischer Erfahrung dabei. Dabei ist seine Arbeitswelt sehr bunt geworden, woran nicht zuletzt die Digitalisierung einen hohen Anteil hat.
6 Aussicht: Wie wird sich die Mittelstandsberatung inhaltlich weiterentwickeln?
Aber die Vielseitigkeit der KMU-Beratung ist noch nicht zu Ende. Der Mittelstand verändert sich kräftig, er wird internationaler, spezialisierter, noch professioneller. Künftige Beratungskonzepte müssen diesen Anforderungen gerecht werden. Auf der Herbstfachtagung 2014 des Verbandes „Die KMU-Berater – Bundesverband freier Berater e. V.“ (www.kmu-berater.de) wurden von den 100 Tagungsteilnehmern unter anderen die folgenden Zukunftsfelder für die Mittelstandsberatung identifiziert:
- Zertifizierungen für den Berater werden wichtig
Die eigene Kompetenz muss immer häufiger auch über neutrale Qualitätsnachweise unterlegt werden. Zertifizierungen spielen zumindest in Deutschland eine große Rolle.
- Spezialisierung auf Kernbereich
So, wie der mittelständische Unternehmer der steigenden Komplexität mit der Spezialisierung auf seine Kernkompetenz antwortet, muss der Berater diesen Weg ebenfalls mitgehen. Der Allrounder als Mittelstandsberater wird nur noch dann funktionieren, wenn er auf ein qualifiziertes Netz an Spezialisten zugreifen kann.
- Qualifizierte Weiterbildung
Einhergehend mit den Themen Zertifizierung und Spezialisierung gilt für den Berater das, was für seine Kunden schon lange gilt: nur mit lebenslangem Lernen wird er mit den Veränderungen im Markt Schritt halten können. Dabei findet Lernen ergänzend zum Seminar mit persönlichem Erfahrungsaustausch immer häufiger auch in virtuellen Räumen, Peer-Groups etc. statt.
- Integrative Ansätze in der Beratungsumsetzung steigen
Die Zeiten reiner Konzepterstellung sind vorbei. Der Kunde erwartet das Rundum-sorglos-Paket in der Umsetzung der erarbeiteten Konzepte. Wenn die Strategie steht, muss die Kommunikation, das IT-Design etc. aufgebaut werden. Dazu muss der Mittelstandsberater sich in festen oder lockeren Netzwerken zusammenschließen.
- Modulare Beratungsbausteine
Eine einzige Vorgehensweise, eine einzige Idee für die Beratung des Kunden reicht nicht mehr aus. Die vielfältigen Anforderungen des Mittelstands müssen mit modularen Beratungsbausteinen gelöst werden. Die Reihenfolge und Wichtigkeit der Beratungsmodule ergeben sich aus den Anforderungen des Kunden – und nicht aus den Wünschen des Beraters.
- Netzwerker
Der beratende Einzelkämpfer kann nur noch dann wirtschaftlich überleben, wenn er eine wirkliche Nische exzellent besetzt. In allen anderen Fällen wird er Teil einer größeren Einheit werden müssen (wollen). In dieser anderen Einheit kann er seine Stärken einbringen, zum Wohle seines Kunden, aber auch der Kunden seiner Beratungskollegen. Eine Win-win-Situation entsteht.
Eine Form dieser Vernetzung ist z. B. die Mitgliedschaft im Bundesverband „Die KMU-Berater“. Hier haben Einzelkämpfer die Möglichkeit, ihren eigenen fachlichen Schwerpunkt in eine Organisation gleichgesinnter Berater einzubringen. Dabei unterstützt ihn der Verband z. B. durch tiefgehenden Erfahrungsaustausch in seinen Fachgruppen, durch regionalen Austausch, fachliche Weiterbildung und im eigenen Außenauftritt durch Elemente der Verbands-Corporate-Identity. Der Verband versteht sich als Plattform für seine Mitglieder, ihre berufliche Zukunft aktiv zu gestalten.
- Steigender Anteil von Dienstleistungen in der Beratung
Immer häufiger erwartet der Unternehmer, dass der Berater sich auch um die dauerhafte Erbringung der konzipierten Leistung kümmert. Viele Berater wachsen daher stärker in Richtung Dienstleister. Das Konzept ist dann „nur“ noch die Eintrittstür in den lukrativen Markt der dauerhaften Verzahnung mit dem Kunden, der Berater wird zur verlängerten Werkbank des Unternehmers.
- Markt der Wirtschaftsmediation wird weiter wachsen
Viele Marktteilnehmer wollen bei unterschiedlichen Auffassungen nicht mehr zum Richter gehen, sondern sich schnell und gütlich einigen. Berater werden daher immer häufiger als Mediatoren fungieren, was nur mit einer qualifizierten Ausbildung möglich ist.
7 Auch der Vertrieb der Mittelstandsberater wird sich ändern
Neben den geschilderten eher konzeptionellen und strategischen Veränderungen im Markt der Mittelstandsberatung wird auch der Vertrieb dieser Beratungsleistungen sich in den nächsten Jahren weiter verändern. Empfehlungsmarketing wird wichtiger, und auch die Vernetzung mit strategischen Partnern spielt eine größere Rolle bei der Kundengewinnung. Mit der fachlichen Spezialisierungsstrategie wird eine Zielgruppen-Fokussierung einhergehen (müssen). Und der Online-Vertrieb wird weiter zunehmen.
Die Leistungserbringung selbst wird einerseits standardisierter erfolgen (Module), andererseits aber immer stärker customized werden, da der Kunde keine Lösungen von der Stange erwartet. Die Kombination beider Elemente – kostengünstige, schnell umsetzbare Module in Verbindung mit einer hohen Individualisierung – wird eine große Herausforderung für den erfolgreichen Mittelstandsberater sein. Das lässt sich am ehesten mit der Modebranche vergleichen: Es gibt den Anzug von der Stange, der vielen passt und an sich nicht schlecht ist – wenn man denn auch hier auf Qualität achtet. Dann gibt es die Maßkonfektion: ein vorgefertigtes Modell, das an die Wünsche des Kunden angepasst wird, an dem Ärmel gekürzt und Hosenbeine verlängert werden. Die Krönung ist dann die Maßschneiderei, in der ein Kunde mit allen seinen Wünschen hochgradig individuell bedient wird. Jeder Mittelstandsberater muss für sich entscheiden, in welchem Geschäftsmodell er seine Zukunft sieht.
Eines wird jedoch alle drei Typen von Beratern einen: Nicht mehr das Wissen, sondern das Können steht im Vordergrund. Informationen findet jeder mittlerweile im World Wide Web. Dank Google und Wikipedia gibt es fast nichts, was ein Unternehmer nicht auch ohne fremde Hilfe an Informationen finden könnte. Aber die Zusammenfassung der Informationen, die Auswertung, die Anpassung an die kundenindividuellen Wünsche zeichnen die eigentliche Beratungsleistung aus. Damit rückt die Prozessoptimierung auch in der Beratungsleistung weiter nach vorne.
Mit dem weiteren Ausbau des Internets (Rechnerleistung, Netzverfügbarkeit, Software) wird zudem ein stärkerer Einsatz von Web-Tools wie z. B. Web-Conferences, Portale etc. stattfinden. Nicht mehr für jedes Thema wird ein Vor-Ort-Einsatz erforderlich sein. Das erfordert in der Mittelstandsberatung auch neue Formen des Pricings, z. B. Flatrates, Festpreise, erfolgsabhängige Vergütung, Preis pro Minute etc.
8 Fazit
Die Mittelstandsberatung steht vor großen Herausforderungen. Mit der zunehmenden Professionalität des Mittelstandes und seiner weiteren Spezialisierung im Markt sind 08/15-Lösungen nicht mehr gefragt. Auch der Mittelstandsberater muss sich auf die neuen Trends und künftigen Marktgegebenheiten einstellen. Er muss sich spezialisieren und in seinem Thema der Beste sein. Er sollte gut vernetzt sein, um im Verbund mit anderen Beratungs-Spezialisten auch die Themen abdecken zu können, auf die er selbst nicht fokussiert ist. Und er muss sich und seine Beratungsleistungen auf neue Formen der Kommunikation über Internet und Videokonferenzen einstellen. Wenn ihm das alles gelingt, hat er große Chancen, am Markt zu bestehen und Nutzen zu stiften. Denn die Zielgruppe der KMU-Unternehmen ist riesig und die Nachfrage nach guter Beratung wird steigen.