Den ersten Teil des Interviews können Sie hier auf ESV.info lesen.

Und: Startups laufen den klassischen Beratungsfirmen immer mehr den Rang ab. Weshalb?

Andreas Krämer: Vielleicht sind Startups das neue „irgendwas mit Medien“? Wir habe keine genauen Daten dazu. Aber es scheint ein gesamtgesellschaftlicher Trend zu sein, dass „Startups“ – was auch immer das ist – en vogue sind: Bei der Wirtschaftsförderung, bei der Arbeitgeberattraktivität etc. Mit dem Begriff „Startups“ werden aus Sicht eines angehenden Berufseinsteigers sicherlich Aspekte wie ein dynamisches Marktumfeld und eine abwechslungsreiche Tätigkeit sowie die rasanten Aufstiegsmöglichkeiten in Verbindung gebracht. Hier sind die möglichen Erfahrungseffekte, aber auch die wirtschaftlichen Unsicherheiten besonders groß. Aber selbst, wenn das Startup die Existenzberechtigung verlieren, bedeutet das für die Mitarbeiter mit entsprechender Expertise natürlich große Weiterentwicklungsmöglichkeiten.

Was kommt auf die Beratungsbranche – jenseits von Digitalisierung und Automatisierung – in der Zukunft wirklich zu?

Thomas Deelmann: Zwei Dinge sehe beziehungsweise erhoffe ich für die Zukunft: Zum einen gibt es heute schon viel mehr Berater als gestern und morgen wird es viel mehr als heute geben. Das ist gut absehbar. Hier muss man sich die Frage stellen, was diese Menschen alles machen? Sind es noch die Ratgeber im traditionellen Sinne oder übernehmen sie andere Aufgaben? Und zum anderen habe ich die Hoffnung, dass die Kundenorganisationen in Zukunft professioneller im Umgang mit Consultants werden – und dann auf Augenhöhe mit ihren Dienstleistern agieren.

Wie hat die Beratung auf den Wirecard-Skandal reagiert? Und was sagt dies aus über die aktuelle und zukünftige Verflechtung von Wirtschaftsprüfung und Beratung?

Andreas Krämer: Der Wirecard-Skandal dreht sich ja um Wirtschaftsprüfung, ihre Aufsicht die Verflechtungen von Prüfung und Politik et cetera. Das Consulting scheint ohne größere Blessuren aus der Situation herauszukommen. Allerdings gerät das Angebot von Prüfungsleistung und Consulting aus einer Hand (WP-Muttergesellschaft) wieder in die Diskussion.

Das Verbot von gleichzeitiger Prüfung und Beratung soll verschärft werden. Wie bewerten Sie diesen Vorstoß des Bundes?

Thomas Deelmann: Ich möchte eigentlich keine politische Einlassung machen. Aber aus einer anderen Perspektive sehe ich die Kombination von Wirtschaftsprüfung und Beratung kritisch. Mein Ansatzpunkt ist hier das Geschäftsmodell. Die Modelle von Prüfung und Beratung sind zwar irgendwie ähnlich – aber doch hinreichend verschieden. Irgendwann müsste es im Interesse von beteiligten Mitarbeitern, oder besser: Partnern, sein, das Beratungsgeschäft von der Prüfung abzuspalten. Als Paradebeispiel will ich hier Andersen Consulting (heute Accenture) nennen, die sich von Arthur Andersen getrennt haben – aus Geschäftsmodellgründen und noch vor Enron, das muss vielleicht noch ergänzt werden.

Eine weitere Affäre rund um die Beratung treibt insbesondere Sie, Herr Prof. Deelmann, um: Die Berateraffäre des Bundesverteidigungsministeriums. Was sollten Berater daraus lernen?

Thomas Deelmann: Berater können daraus lernen, dass man den Bogen überspannen kann. Das größere Lernfeld liegt aber wohl beim Kunden. Da war noch „Luft nach oben“!

Über die Autoren Prof. Dr. Thomas Deelmann arbeitet seit über 20 Jahren als, mit, für und über Berater. Er lehrt an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen, twittert @Ueber_Beratung, berät bei strategischen Fragen, schaut hinter die Kulissen der Arbeit von Beratern und ihren Kunden, kommentiert Marktentwicklungen aus der Vogelperspektive und ist unter anderem Herausgeber des Handbuchs der Unternehmensberatung. Prof. Dr. Andreas Krämer ist Vorstandsvorsitzender der exeo Strategic Consulting AG in Bonn und lehrt an der University of Applied Sciences Europe, Fachbereich Wirtschaft in Iserlohn. Nach seiner Promotion arbeitete Andreas Krämer zunächst bei zwei führenden internationalen Beratungsgesellschaften, bevor er exeo im Jahr 2000 mit Schwerpunkt in der datengetriebenen Entscheidungsunterstützung im Marketing gründete. Er ist Autor zahlreicher Fachpublikationen.

Was macht die Corona-Pandemie aus der Beratungsbranche? Welche Themen treiben die Branche hier um?

Andreas Krämer: Da ist sicherlich zunächst der Umsatzeinbruch zu nennen. Nicht in allen Kundenbranchen gleich intensiv, aber die ersten Prognosen für das Umsatzjahr 2020 waren sehr schlecht. Das hat sich im Laufe der Zeit etwas gebessert: Die Projektarbeit hat wieder an Fahrt gewonnen.

Was sich jetzt aber als schwierig herausstellt, das ist die Geschäftsentwicklung. Mit Bestandskunden kann man durchaus am Telefon sprechen. Durch die Kontaktbeschränkungen ist es schwieriger geworden, neue Kunden zu akquirieren. Dies wird auch dazu führen, dass einige Anbieter nicht nur ihre Strategie zur Projektakquise überdenken werden, sondern sogar ihr Geschäftsmodell an sich. Das geht bis zur Frage, wie sich die Beratung nach außen präsentiert und sich im Innern organisiert.

In Ihrem soeben erschienenen Buch führen Sie Interviews mit über 20 Beraterpersönlichkeiten aus unterschiedlichen Beraterkontexten. Welche zwei bis drei Aspekte daraus haben Sie am meisten angesprochen oder überzeugt?

Andreas Krämer: Das ist schwierig zu beantworten! Jedes Interview ist für sich toll und interessant zu lesen und hat Highlights. Über die Interviews freue ich mich, weil sie offen sind, kritische Dinge ansprechen und auf den Punkt kommen. Die eingangs beschriebene Subjektivität, die wir als Berater in der Funktion des Buchautors in den Hintergrund verlagert haben, wird durch die Experteninterviews explizit hervorgehoben, sie erhält einen eigenen Raum. Hier berichten Branchenkenner über persönliche Erfahrungen und eigene Einschätzungen.

Welche ist die exotischste Form der Beratung, die Ihnen jemals untergekommen ist? Welche Beratungsanekdote sollte jeder kennen?

Thomas Deelmann: Das ist die gefährlichste Frage des Interviews, oder? Anekdoten darf man nicht ohne Kontext erzählen. Es gibt natürlich die Geschichten der peinlichsten Fehler, des mutigsten Pitches, der superlangen Arbeitstage etc. Aber hier ist es wohl so wie mit allen Kriegsgeschichten: Ein Körnchen Wahrheit wird dran sein – aber es ist nicht alles auf die Goldwaage zu legen!

Consulting Autor: Prof. Dr. Thomas Deelmann, Prof. Dr. Andreas Krämer Von den einen geliebt, von anderen gemieden: Kaum ein Berufsfeld ist gleichzeitig so gefragt und so umstritten wie Consulting. Daher braucht es Sachlichkeit und Orientierung, um die Unternehmensberatung als Profession zu entdecken, besser zu verstehen und zu gestalten. Die wichtigsten Entwicklungslinien, Qualifikationen, Karriereschritte und Managementaufgaben im Consulting von privaten und öffentlichen Organisationen zeichnen Thomas Deelmann und Andreas Krämer systematisch nach – mit aufschlussreichen Marktanalysen, neuester Forschung und prominenten Branchenstimmen. Wie verläuft die „typische Beraterkarriere“ mit den Phasen Orientierung, Einstieg, Aufstieg – oder auch Ausstieg? Was zeichnet eine moderne Beratungs-BWL aus, die Kunden- und Anbieterseite, aber auch Schnittstellen zur Marktforschung, Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung u.a. erfasst? Was unterscheidet das Mainstream-Consulting der großen Beratungshäuser von den zahlreichen Nischen, Varianten und Besonderheiten im Beratergeschäft? Das erste „echte“ Lehr-, Lern- und Lesebuch, das die dynamische Branche und den facettenreichen Beraterberuf mit aktuellen Insider-Einblicken und vielen Beispielen ausleuchtet.

(ESV/uw)