Der Einsatz von Beratern in Ministerien und Verwaltung sorgt immer wieder für Schlagzeilen oder wie Sie sagten „Empörungspotenzial“. Die Bundesregierung hat seit 2017 mehr als eine Milliarde Euro für externe Beraterinnen ausgegeben, so eine kurz vor der Bundestagswahl veröffentlichte Anfrage des Bundestagsabgeordneten Matthias Höhn (Die Linke). Wozu benötigen personell top ausgestattete Ministerien und Behörden eigentlich externe Berater? Und wozu nicht?

Thomas Deelmann: Matthias Höhn ist hier seit Langem sehr umtriebig. Er hat immer wieder um Transparenz gekämpft. Daher ist es schade, dass er dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören wird. Aber: Der Einsatz von Beratern macht dann Sinn, wenn er dazu dient, Kompetenzen zu ergänzen, einen Ressourcenmangel (kurzfristig) auszugleichen oder um Veränderungen in Organisationen zu beschleunigen. Schlecht ist es hingegen, wenn man sich hinter Entscheidungen von Beratern verstecken will, Consultants für den Kunden Entscheidungen treffen oder wenn sie dessen Kernaufgaben erledigen: Im öffentlichen Sektor sind das beispielsweise hoheitliche Tätigkeiten oder die Formulierung von Gesetzesentwürfen.

Zur Perspektive des Unternehmensberaters: Welche Lehre(n) sollte die Beraterbranche Ihrer Meinung nach aus der Berateraffäre ziehen?

Thomas Deelmann: Die Unprofessionalität in der Berateraffäre war im Wesentlichen bei den Kunden zu suchen. Und hier konnte ich gut herausarbeiten, wo Verbesserungsansätze sind: Im Vorfeld von Projekten, bei der Durchführung, in der Nachbereitung sowie beim allgemeinen Basiswissen über den Umgang mit dieser besonderen Gruppe von Dienstleistern.

„Professionelle Berater- und Projektsteuerung aufbauen”

Berater selber sollten sich aber auch Gedanken darüber machen, inwieweit sie nur kurzfristig von Kundenaufträgen profitieren und warum es gut wäre, wenn sie ihren Kunden helfen, eine professionelle Berater- und Projektsteuerung aufzubauen. Läuft es nämlich hier gut und sicher, dann gibt es auch kein Affärenpotenzial.

Prof. Dr. Thomas Deelmann

Prof. Dr. Thomas Deelmann arbeitet seit über 20 Jahren als, mit, für und über Berater. Er lehrt an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) NRW, twittert @Ueber_Beratung, ist unter anderem Herausgeber des „Handbuchs der Unternehmensberatung“ und Co-Autor von „Consulting – Ein Lehr-, Lern- und Lesebuch“

Inwiefern leidet unter solchen Affären das Image der gesamten Beraterbranche? Und wie können sich einzelne Akteure von entsprechenden Verallgemeinerungen nach außen hin sinnvoll abgrenzen, ohne sich ständig rechtfertigen zu müssen?

Thomas Deelmann: Untersuchungen haben gezeigt, dass die Reputation der Berufsbildes Beratung schon sehr gering ist. Gleichzeitig sehen wir aber, dass Beratung von Kunden intensiv nachgefragt wird und junge Menschen gerne Beraterin und Berater werden wollen.

„Verantwortungsvoller, nachvollziehbarer Umgang mit Steuergeldern”

Beide Seiten, Anbieter und Nachfrager, tun daher meines Erachtens gut daran, zu signalisieren, dass sie verantwortungsvoll und professionell mit Steuergeldern bzw. Aufträgen umgehen. Dies könnte beispielsweise durch eine Datenbank mit allen Aufträgen, Auftragnehmern und Auftragsvolumina erfolgen und unterstützt werden. Das ist nicht gesetzlich vorgeschrieben und der Anteil am Gesamthaushalt zum Beispiel des Bundes ist auch nur relativ klein, aber die Signalwirkung im Sinne von Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Professionalität wäre sehr groß.

Haben die Beteiligten im Verteidigungsministerium die, wie Sie schreiben, „auf den ersten Blick vergleichsweise unscheinbare Dienstleistung Beratung“ unterschätzt? Woran mangelt es?

Thomas Deelmann: Man muss hier niemanden in Schutz nehmen. Aber bei aller Skandalwirkung sollte man sich schon vergegenwärtigen, dass die Ausgaben für Beratungs- und Unterstützungsleistungen im Verteidigungsministerium sich von den Kosten für beispielsweise eines Kampf- oder Transportflugzeug schon unterscheiden. Bei einer wertmäßigen Priorisierung liegt dann der Fokus woanders.

„Kleine, aber hoch-sensitive Warengruppe”

Aber wenn nach den vielen Jahren, in denen immer wieder nachgefragt und nachgebohrt wird, immer noch keine Verbesserung erkennbar ist und immer noch nachlässig mit dieser kleinen, aber hoch-sensitiven Warengruppe umgegangen wird, dann gleicht das doch einer Serie von Stockfehlern.

Wie sollte die nächste Bundesregierung mit sich anbietender Expertise von außen umgehen?

Thomas Deelmann: Oh, da ist meine Empfehlung ganz einfach: Sie sollte diese Expertise von außen berücksichtigen, nachfragen und nutzen. Aber weder blind, noch eklektisch, noch zu überhöhten Preisen – sondern solide und vernünftig. Und Ansatzpunkte für solche Verbesserungen gibt es reichlich, wie die Berateraffäre zeigt – und wie sie auch im Buch als Empfehlungen aufbereitet sind: Auswahl, Einsatz und Ergebnissicherung der Arbeit von Consultants ist kein Hexenwerk, muss aber strategisch und operativ sorgfältig umgesetzt werden.

Lesen Sie den ersten Teil des Interviews mit Prof. Dr. Thomas Deelmann auf ESV.Info

Die Berateraffäre im Verteidigungsministerium Autor: Prof. Dr. Thomas Deelmann Die Berateraffäre im Verteidigungsministerium hat für reichlich Aufsehen gesorgt. Vom „System von der Leyen“ und einem Buddy-Netzwerk war die Rede, von untereinander zugeschusterten Aufträgen und von Beratern, die von Beamten kaum noch zu unterscheiden waren: Alles so irritierend, dass der eingesetzte Untersuchungsausschuss in 40 Sitzungen 41 Zeugen befragen und 4.700 Ordner mit Beweismaterial sichten musste. Aus beratungsfachlicher Perspektive arbeitet Thomas Deelmann die Affäre auf. Neben dem Beratermarkt im öffentlichen Sektor, beteiligten Akteuren und Kontrollinstanzen werden die entscheidenden Szenarien ausgeleuchtet. Die Ausgangssituation: Hintergründe, Verfehlungen, öffentliche Kritik Die Aufarbeitung: im Untersuchungsausschuss und medial – chronologisch nachgezeichnet Die Auswirkungen: Marktentwicklung, Professionalisierung, Verbesserungen Ein prägnanter Einblick in ein dysfunktionales System mit konkreten Empfehlungen für das Beratungsprojektmanagement auf beiden Seiten. Und mit neuen Impulsen, um externe Expertise produktiv mit verantwortungsvollem Verwaltungshandeln zu verbinden. Eine exklusive Leseprobe finden Sie hier.