Zunehmender Einfluss des EU-Beihilferechts
Um der Öffentlichen Hand und ihren Unternehmen bei der Bewältigung EU-beihilferechtlicher Problemstellungen im Zusammenhang mit der staatlichen Finanzierung von (oftmals defizitären) Aufgaben der Daseinsvorsorge beratend zur Seite stehen zu können, muss man sie zunächst mit den EU-beihilferechtlichen Tatbestandsmerkmalen vertraut machen, gleichzeitig aber auch klarstellen, dass durchaus Gestaltungsmöglichkeiten und Ausnahmeregelungen für die Gewährung von Unterstützungsleistungen vorhanden sind, die auch praxistauglich sind. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über das EU-Beihilferecht.
1 Ausgangssituation
Lange Zeit war die Gewährung staatlicher Beihilfen überwiegend mit Unternehmen der Branchen Automobil- oder Schiffsbau verknüpft. Mit der legendären Altmark Trans Entscheidung des EuGH zum Verkehrsbereich ist das EU-Beihilferecht im Jahr 2003 dann erstmals auf der Ebene der Kommunen und ihrer Beteiligungen angekommen.
Seither hat die praktische Bedeutung des Beihilferechts durch Entscheidungen wie Tierkörperbeseitigung Rheinland-Pfalz oder die Beihilfeverfahren zum EEG 2012 sowie gegen den Flughafen Zweibrücken für kommunale Gesellschaften und ihre Träger stetig zugenommen und gibt ihnen Anlass, sich mit dieser Rechtsmaterie näher zu befassen.
Dabei ist das Beihilferecht – wie es auch der Verband Kommunaler Unternehmen e. V. in seinem Mitgliederanschreiben zu Anwendungshilfe „Beihilferecht“ (Stand: Februar 2015) ausführt – zum einen durch seine Komplexität und Einzelfallbezogenheit gekennzeichnet und zum anderen können Verstöße sowohl für die Unternehmen als auch für die Geschäftsführung bzw. den Vorstand persönlich beträchtliche Rechtsfolgen nach sich ziehen. Um solche Risiken zu minimieren bzw. zu vermeiden, bedarf es zunächst der Kenntnis des Beihilfetatbestands und seiner Merkmale sowie Umsicht und Sorgfalt bei konkreten Ausgestaltungen einer Beihilfegewährung im kommunalen Sektor.
2 Beihilfe-Begriff gem. Art. 107 Abs. 1 AEUV
Art. 107 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bildet grundsätzlich – unabhängig von dem Bereich, in dem eine Unterstützungsleistung gewährt werden soll – den Ausgangspunkt für die EU-Politik im Bereich der staatlichen Beihilfen und damit für die Beurteilung der Frage, welche Sachverhalte Relevanz i. S. des EU-Beihilferechts entfalten. Art. 107 Abs. 1 AEUV lautet wie folgt:
„Soweit in diesem Vertrag nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen.“
Im Einzelnen umfasst die Bestimmung folgende von der Kommission und der europäischen Rechtsprechung entwickelte Kriterien:
- Vorliegen einer einem Unternehmen aus staatlichen Mitteln gewährten Beihilfe,
- selektive Begünstigung des Unternehmens,
- Gefahr der Auswirkungen auf Wettbewerb und Handel zwischen den Mitgliedstaaten.
3 Detailanalyse der Beihilfekriterien
3.1 Einem Unternehmen gewährte staatliche Mittel
Für das Merkmal der Gewährung der Beihilfe aus staatlichen Mitteln ist es ausreichend, wenn die betreffende Maßnahme dem Staat zugerechnet werden kann und letztendlich zu einer Belastung des Haushalts führt. Unter Staat sind dabei nicht nur alle staatlichen Ebenen (Bund, Land, Kommune), sondern auch die vom Staat errichteten Einrichtungen zu verstehen. Es können mithin auch privatrechtlich organisierte Einheiten als „Beihilfegeber“ in Betracht kommen.
Unter den Beihilfetatbestand fallen ferner nur Beihilfen, die einzelnen, aber nicht allen Unternehmen gewährt werden. Nach Rechtsprechung und Schrifttum ist im EU-Wettbewerbsrecht einheitlich ein funktionaler Unternehmensbegriff zugrunde zu legen. Ein Unternehmen ist demnach jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung, die nicht ausschließlich Verbraucher oder Arbeitnehmer ist.
Hinweis: Eine Gewinnerzielungsabsicht ist nicht erforderlich. Grundsätzlich können daher auch Eigenbetriebe bzw. eigenbetriebsähnliche Einrichtungen zum Kreis der Unternehmen im EU-beihilferechtlichen Sinne zählen.
3.2 Selektive Begünstigung
Unter dem weit auszulegenden Tatbestandsmerkmal der Begünstigung ist – unabhängig von der Form und Ausgestaltung der Maßnahme – zunächst jeder wirtschaftliche Vorteil ohne angemessene Gegenleistung zu verstehen, den das betreffende Unternehmen unter marktüblichen Bedingungen nicht erhalten hätte.
Der Begriff der Beihilfen wird von der Kommission ebenfalls ausgelegt. Sie können beispielsweise in Form von
- Zuschüssen, Verlustausgleichen,
- Kapitalerhöhungen, Darlehen, Bürgschaften,
- Stundungen, Forderungs- und Abgabenverzicht, Steuerbefreiungen,
- Bereitstellung von Waren, auch Grundstücken, und Dienstleistungen, auch Personal zu Vorzugsbedingungen
vorkommen. Nach Auffassung der Kommission ist eine Beihilfe jede Maßnahme einer staatlichen Quelle, die dem empfangenden Unternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil verschafft, ohne dass dieser Maßnahme eine angemessene, marktübliche Gegenleistung gegenübersteht.
Als zentraler Vergleichsmaßstab zur Bestimmung der Marktüblichkeit und damit der Angemessenheit des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung ziehen EuGH und Europäische Kommission den sog. Private-Investor-Test heran. Danach wird das Investitionsverhalten der öffentlichen Hand mit dem eines hypothetischen privaten Marktteilnehmers verglichen. Ob ein wirtschaftlicher Vorteil als marktüblich oder marktunüblich anzusehen ist, beurteilt sich insofern danach, ob ein wirtschaftlich handelnder privater Investor in der Rolle der staatlichen Stelle eine vergleichbare Maßnahme zugunsten des jeweiligen Unternehmens durchführen würde.
Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sich ein marktwirtschaftlich handelnder Kapitalgeber stets von Renditeerwartungen leiten lässt. Der Private-Investor-Test gilt danach i. d. R. als bestanden, wenn aufgrund der Struktur und der Zukunftsaussichten des Unternehmens innerhalb eines angemessenen Zeitraums eine Rendite in Form von Dividendenzahlungen oder Kapitalzuwächsen zu erwarten ist, die mit der eines Privatunternehmens bezogen auf einen angemessenen Zeitraum vergleichbar ist.
3.3 Wettbewerbsverfälschung bzw. Handelsbeeinträchtigung
Zum Beihilfebegriff des Art. 107 Abs. 1 AEUV gehören ferner die Merkmale der tatsächlichen oder zumindest drohenden Wettbewerbsverfälschung und der Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten. Sie stehen in enger Verbindung, denn die Beeinträchtigung des zwischen-staatlichen Wirtschaftsverkehrs wird ggf. durch die Wettbewerbsverfälschung verursacht. Die Merkmale liegen vor, wenn die Auswirkungen der Wettbewerbsverfälschung die Binnengrenzen überschreiten können. Dies hängt davon ab, ob die durch die öffentliche Leistung oder Abgabenentlastung begünstigten Unternehmen oder Produktionszweige Güter oder Dienstleistungen anbieten, die Gegenstand des die Binnengrenzen der EU überschreitenden Wettbewerbs sind oder ohne die staatliche Intervention wären. Um das Vorliegen dieser Tatbestandsmerkmale zu bejahen bzw. verneinen zu können, ist zu hinterfragen, ob mögliche Wettbewerbsverfälschungen und Handelsbeeinträchtigungen bestehen
- mit Einrichtungen im Ausland,
- mit von Ausländern betriebenen Einrichtungen im Inland,
- zwischen potenziellen Betreibern (kommunaler) Einrichtungen mit Betreibern um (kommunale) Einrichtungen.
Die unter 3.1 bis 3.3 dargestellten Merkmale müssen kumulativ erfüllt sein, damit eine Beihilfe vorliegt. Andernfalls greifen das grundsätzliche Beihilfenverbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV und die Pflicht zur Anmeldung und Einholung einer Genehmigung der Europäischen Kommission (sog. Notifizierung) nicht ein.
4 EU-beihilferechtliche Konfliktpotenziale der öffentlichen Hand
Die Prüfung der vorstehenden Tatbestandsmerkmale und Rechtfertigungs- sowie Ausnahmegründe kann für die öffentliche Hand aus zwei Richtungen Relevanz entfalten, denn die öffentliche Hand kann dabei nicht nur in öffentlich-rechtlicher Rechtsform, sondern auch als privatrechtlich organisierte Einheit auftreten. Ausschlaggebend ist, dass die öffentliche Hand auf das Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann.
Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang auch, dass Gegenstand des europäischen Wettbewerbsrechts und damit auch des EU-Beihilferechts grundsätzlich Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (sog. DAWI, Art. 106 Abs. 2 AEUV) sind. Keine Beihilfen stellen dagegen staatliche Hilfen für Dienstleistungen von allgemeinem nicht-wirtschaftlichen Interesse und Dienstleistungen ohne Binnenmarktrelevanz dar.
Die Einordnung als nichtwirtschaftliche Tätigkeit kann immer dann erfolgen, wenn es sich um Tätigkeiten handelt, die mit der Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse durch den Staat selbst oder durch im Rahmen ihrer Zuständigkeiten handelnde Behörden verbunden sind. Unter den sog. DAWI sind gemeinwohlorientierte Leistungen zu verstehen, die ein privatwirtschaftliches Unternehmen im eigenen wirtschaftlichen Interesse nicht in gleicher Weise übernehmen würde und die ihm daher vom Staat auferlegt werden. Gleichzeitig handelt es sich jedoch bei den auferlegten Leistungen grundsätzlich um wirtschaftliche Aktivitäten, sodass das EU-Wettbewerbsrecht Anwendung findet.
5 Abwehrmaßnahmen auf der Basis von Ausnahmeregelungen zum EU-Beihilfeverbot
Das von Art. 107 ff. AEUV aufgestellte Beihilfenverbot ist nicht absolut. Vielmehr enthält das EU-Recht dazu gewisse Ausnahmeregelungen. Hierzu zählen u. a. die sog. Deminimis-Regelungen, die die Gewährung geringfügiger finanzieller Vorteile (200.000 € bzw. 500.000 € jeweils gerechnet auf drei Steuerjahre) mangels drohender Wettbewerbsbeeinträchtigung vom Tatbestand der Beihilfe i. S. des Art. 107 Abs. 1 AEUV ausnehmen.
Praktisch relevant sind auch die Ausnahmen nach Art. 107 Abs. 3 AEUV. Hierfür reicht es nicht aus, dass einer der in der Norm aufgeführten Fälle vorliegt, sondern es muss eine positive Ermessensentscheidung durch die Kommission hinzukommen. Diese kann z. B. Beihilfen zur Förderung gewisser Wirtschaftszweige, soweit diese die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft, auf der Grundlage von Art. 107 Abs. 3 c AEUV als mit dem Binnenmarkt vereinbar betrachten.
Eine weitere Ausnahme von der Notifizierungspflicht des Art. 108 Abs. 3 AEUV ist unter Beachtung der Voraussetzungen der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17. 6. 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Art. 107 und 108 AEUV (Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung - AGVO) möglich.
Eine Beihilfe kann sich auch für eine DAWI verneinen bzw. rechtfertigen lassen. Hierzu bedarf es als zentraler Voraussetzung des Abschlusses eines (oder mehrerer) Betrauungsakts(e), also einer formalen Übertragung gemeinwohlpflichtiger Aufgaben. Als Rechtsgrundlagen hierfür kommen die Altmark-Trans-Entscheidung (EuGH-Urteil v. 24. 7. 2003, Rs. C-280/00) oder der sog. Freistellungsbeschluss vom 21. 12. 2011 (ergangen zur Anwendung von Art. 106 Abs. 2 AEUV auf staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichsleistungen zugunsten bestimmter Unternehmen, die mit der Erbringung von DAWI betraut sind) in Betracht.
6 Fazit
Unterstützungsleistungen der öffentlichen Hand zugunsten ihrer Beteiligungsunternehmen können eine unzulässige Beihilfe nach Artikel 107 AEUV darstellen. Die Palette der möglichen Beihilfeformen ist groß. Es zählen hierzu u. a. Zuschüsse, Verlustausgleichszahlungen, Darlehen und Bürgschaften. Kann keines der Beihilfetatbestandsmerkmale entkräftet werden, beispielsweise dadurch, dass eine Begünstigung zu verneinen ist, das begünstigte Unternehmen eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit ausübt oder keine Wettbewerbs- bzw. Handelsbeeinträchtigung durch die Unterstützungsleistung stattfindet, ist der entsprechende Sachverhalt zunächst als beihilferelevant und damit notifizierungspflichtig anzusehen. Bevor jedoch diese zeitaufwendige Anmeldung einer Beihilfe zur Genehmigung bei der Kommission erfolgt, ist zu prüfen, ob nicht eine Ausnahme vom Beihilfeverbot und der Notifizierungspflicht gegeben ist. Eine solche lässt sich u. a. bei Maßnahmen mit geringem Vorteilscharakter und geringer Wettbewerbsbeeinträchtigung auf die De-minimis-Verordnungen stützen oder, sofern es sich um bestimmte Gruppen von Beihilfen handelt, auf die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung. Besondere Ausnahmen im Rahmen einer Betrauung gibt es für DAWI-Leistungen. Auf Basis des Ausnahmenkatalogs gelingt oftmals die Herstellung von Einklang der kommunalen Unterstützungsleistung mit dem EU-Beihilferecht auf Tatbestands- oder aber Rechtfertigungsebene.