Experten machen keine Fehler! Über den Umgang von Beratern mit Fehlern (Teil 1)
Im Briefing wurde ich gebeten, mit einem Beitrag die folgende Frage zu beantworten: „Wie gehen Unternehmensberater mit Fehlern um?“ Von Ungeduld und Lust am Provozieren getrieben war mein erste Gedanke: „Gar nicht!“ Aber damit wäre dieser Artikel nicht nur sehr kurz ausgefallen, sondern hätte auch diesem wichtigen Thema nicht gedient.
1 Berater machen „Fehler“
Natürlich machen Berater „Fehler“. Die hohen Standards an internen Qualitätskontrollen minimieren Dinge wie Verrechnen oder Vertippen. Aber da, wo Fehler nur schwer als solche zu klassifizieren sind, hört es mit den Qualitätskontrollen auch schnell wieder auf. Wie oft haben Sie schon einen abgestimmten Prozess oder die gewählte Methode im laufenden Projekt gemeinsam mit dem Klienten grundsätzlich in Frage gestellt und ggf. über Bord geworfen? Oder sogar das Projekt als wirkungslos erkannt und aus eigenem Antrieb heraus abgebrochen? Ich meine jetzt eben nicht die marginalen, quasi unter der Hand ablaufenden Richtungsänderungen, die natürlich regelmäßig durchgeführt werden. Regel oder Ausnahme? Wie schnell sind Sie bereit, ein Teammitglied auszutauschen, wenn sich herausstellt, dass es für das Projekt doch nicht die relevante Qualifikation mitbringt? Wie schützen Sie sich vor Fehlinterpretationen Ihrer inhaltlichen Annahmen? Wie stellen Sie sicher, nichts übersehen zu haben? Und vor allem: Wie finden Sie heraus, ob Sie in Ihrem Verhalten und in der Beziehung zum Klienten auch wirklich immer alles richtig machen?
Die Standard-Antwort auf diese Fragen lautet: „Wir pflegen einen sehr kritischen und offenen Austausch im Team und über unsere Hierarchiestufen hinweg. Und auch mit unseren Klienten. Da wird jeder Fehler sofort thematisiert. Und letztlich: Wenn wir Fehler machen würden, gäbe es keinen Folgeauftrag. Ein Folgeauftrag ist damit auch ein Hinweis darauf, dass wir zumindest keine großen Fehler gemacht haben.“ Leider sind die Prämissen dieses Arguments nicht wahr.
Auch wenn Klienten immer fordernder und kritischer werden, viele schauen den Beratern doch nicht so genau auf die Finger oder sie lassen sich von den Beratern täuschen (bzw. mit Back-up Slides erschlagen). Oder aber sie scheuen einfach die Auseinandersetzung mit den rhetorisch oft besser geschulten Beratern.
Und auch intern ist es mit dem offenen und ehrlichen Austausch nicht so gut bestellt, wie es für die Top-Führungsebene oft den Anschein hat. Welcher Junior-Berater traut sich schon, seinem Senior-Partner einen Fehler aufzuzeigen? Und die, die sich trauen, machen leider auch nur manchmal gute Erfahrungen damit. Die anderen stoßen eher auf Rechtfertigungen oder Schönreden. In manchen Beratungshäusern gibt es einen sogenannten „heißen Stuhl“: In regelmäßigen Abständen ist ein Berater oder ein Team aufgefordert, das aktuelle Projekt vorzustellen und sich von dem Rest der Mannschaft kritisch hinterfragen zu lassen. Eine super Intervention, um tatsächlich das Know-how einer großen Beratergruppe zu nutzen und um mögliche Fehler rechtzeitig zu identifizieren. Allerdings überwiegen die Rückmeldungen, die diesen heißen Stuhl als extrem unangenehm und als Karriererisiko bezeichnen.
Einigen wir uns also lieber auf die Kernfrage: „Wie kann ein angemessener Umgang mit Fehlern die Effizienz und die Wirksamkeit eines Projektes erhöhen – und wie kann dieser auch realistisch in die Tat umgesetzt werden?“
Um diese Frage vernünftig zu beantworten, braucht es verschiedene Perspektiven. Daher haben wir diesen Beitrag in drei Teile „zerlegt“. In dieser Ausgabe geht es um die Teilfrage, warum man überhaupt etwas an seinem aktuellen Verhalten ändern sollte sowie um das Aufzeigen eines „idealen Zustandes“. In der nächsten Ausgabe werde ich versuchen, ein „Persönlichkeitsprofil“ eines typischen Beraters zu skizzieren – insbesondere natürlich hinsichtlich der Frage nach dem Umgang mit Fehlern. Und schließlich – ich bitte also um Geduld – kommt die Antwort auf die Frage „was tun“? Wie kann man sich einem besseren Umgang mit Fehlern risikofrei nähern?
2 Why Change?
Es gibt keine Alternative zu einem angemessenen Umgang mit Fehlern, wenn einem eine langfristig tragfähige Beziehung zum Klienten und die Wirksamkeit eines Projektes am Herzen liegen
Wovon die Wirksamkeit einer Beratung tatsächlich abhängt, lässt Spielraum für Meinungen und Interpretationen. Es ist auch schon viel darüber geforscht und geschrieben worden. Im Kern geht es aber immer um die Kombination – nicht eine Balance zwischen(!) – relevanten Inhalten, der Glaubwürdigkeit des Beraters und der Beziehung zum Klienten. Drei Faktoren, die sich durchaus gegenseitig beeinflussen. Der Fokus der meisten Experten-Berater liegt auf dem ersten der drei Punkte: der inhaltlichen Arbeit.
Hinsichtlich der Souveränität und der Beziehung zum Klienten scheint ein Glaubenssatz sehr verbreitet zu sein: „Souveränität und Vertrauen entstehen durch Expertise und Fehler-Freiheit“. Das ist grober Unfug. Menschen machen nun einmal Fehler und jeder weiß das. Natürlich vertraue ich eher einem Menschen, von dem ich das Gefühl habe, dass er weiß, wovon er spricht. Aber mein Vertrauen ist noch um ein Vielfaches größer, wenn ich sicher weiß, dass er auch ehrlich kommunizieren wird, wenn er die Grenzen seiner Expertise erreicht oder er gar einen Fehler gemacht hat. Nur dann bin ich doch auch in der Lage, dem Blatt noch eine gute Wendung zu geben.
Was ist denn die Alternative dazu, Fehler offen und ehrlich anzusprechen? Eine Möglichkeit ist, ich schaue erst gar nicht so genau hin. Das heißt, ich vermeide jede Art von Reflektion – alleine oder mit anderen – bei der ein Fehler sichtbar werden könnte. Oder aber, wenn mir ein Fehler bewusst geworden ist, unternehme ich eine ordentliche Anstrengung, um ihn zu vertuschen. Im besten Fall gelingt es und keiner merkt etwas. Im schlimmsten Fall fällt der Fehler aber doch auf. Wenn ich als Berater versuche, ihn weiterhin zu vertuschen, schönzureden oder andere dafür verantwortlich zu machen, dann wird aus dem GAU tatsächlich ein Super-GAU. Auch wenn die Sprachwissenschaftler diese Steigerung für unsinnig halten.
Die Reaktionen des Klienten sind vorhersehbar: Entweder wird er den Berater mit dem Fehler konfrontieren – leider oft eine Diskussion mit klarer und sofortiger Eskalationstendenz. Oder er wird in den passiven Widerstand gehen – d. h. er bringt sich in das Projekt nicht mehr aktiv ein, sondern wartet ab, bis der Berater wieder aus dem Haus ist und macht dann einfach weiter mit dem, was er für richtig hält.
Beide Reaktionen führen zu einem Vertrauensverlust dem Berater gegenüber und unterminieren damit sowohl die Souveränität der Person des Beraters als auch die Qualität und Tragfähigkeit der Beziehung zum Klienten. Und das hat natürlich wiederum Auswirkungen auf die inhaltliche Arbeit: Informationen und Meinungen werden zurückgehalten, und anstatt an einem Strang zu ziehen, arbeiten Klient und Berater plötzlich gegeneinander. Daraus resultiert ein oft zitierter und genauso oft belachter Ausruf der Berater: „Projekte könnten so einfach sein – wenn nur die Klienten nicht wären“.
In allen diesen Situationen kommt es zu Einschränkungen in der Effizienz und Wirksamkeit des Projektes.
Natürlich ist es unangenehm, bei einem derart hoch polierten Image und noch höherem Tagessatz sich selbst und anderen gegenüber Fehler eingestehen zu müssen. Es liegt sowieso nicht gerade in der Natur des Menschen. Aber wir sprechen auch nicht davon, sich bei dem kleinsten „Fehler“ zur Mittagszeit mit einem Schild um den Hals in die Kantine des Kunden zu stellen, auf dem steht: „Wir haben einen blöden Fehler begangen, obwohl wir am Tag fast soviel kosten wir ihr im Monat verdient! Bitte, verzeiht uns“.
Ein angemessener Umgang mit Fehlern bedeutet, sich sehr bewusst Gedanken über den richtigen Adressaten, den richtigen Zeitpunkt und die richtige Form zu machen. Nicht jeder muss über jeden Fehler aufgeklärt werden. Und wenn eine Diskussion ohnehin schon hitzig und emotional aufgeladen ist, ist es meist ratsamer zu warten, bis sich die Wogen geglättet haben. Die richtige Form kann auch variieren. Oft wird ein Ansprechen des Fehlers und der Konsequenzen reichen. Manchmal hilft eine Variation des Wortes „Entschuldigung“. Bei schwerwiegenden Fehlern ist ein Angebot zur Kompensation hilfreich. Hier die richtige Wahl zu treffen wird auf jeden Fall sowohl die Souveränität als auch die Beziehung zwischen Berater und Klienten stärken.
Der eine oder andere Leser wird jetzt denken, dass er bisher gut mit seiner Linie gefahren ist (obwohl der diesen Artikel wahrscheinlich gar nicht bis hierhin gelesen hat). Für den soll an dieser Stelle noch auf einen bestimmten Trend hingewiesen sein: die zunehmende Einbeziehung von sogenannten „Metaberatern“. Also Beratern, die Klienten hinsichtlich der Zusammenarbeit mit Beratern beraten – und zwar nicht nur bei der Auswahl eines geeigneten Beratungshauses, sondern auch zur Qualitätssicherung während des Projektes. Und da, wo sich Klienten scheuen, den Beratern sehr genau auf die Finger zu schauen, wird in Zukunft immer häufiger eine dritte Partei diesen Job übernehmen.
Fazit: Lügen haben kurze Beine. Fehler nicht anzusprechen, fällt früher oder später auf und führt dann über den Weg des Vertrauensverlustes zu einer Einschränkung der Effizienz und Wirksamkeit des Projektes.
3 Der Idealzustand?
„Fehler sind Lernchancen“ ist nicht nur ein Spruch, sondern notwendige Grundlage der beraterischen Haltung.
Der Idealzustand ist dadurch gekennzeichnet, dass die meisten potenziellen Fehler bereits im Vorfeld oder zumindest in einem frühen Stadium entdeckt werden – bevor sie Schaden anrichten. Wenn es doch einmal schiefgelaufen ist, gehen alle betroffenen Parteien sehr „erwachsen“ damit um. D.h. mit Fokus auf die Sachebene, da die Beziehung bereits so tragfähig ist, dass sie durch einen Fehler überhaupt nicht in Frage gestellt wird.
Es gibt diese wunderbare Geschichte von der Explosion auf einer Ölplattform, in der – nachdem das Feuer gelöscht wurde – der Chef alle seine Mitarbeiter zusammengerufen und gefragt hat, ob jemand etwas über die mögliche Ursache der Explosion wisse. Ein Mechaniker meinte darauf hin, dass er am Vortag in dem Bereich des Unfalls Wartungsarbeiten durchgeführt hatte und sich nun nicht mehr sicher sei, ob er eine bestimmte Mutter wieder richtig angezogen hätte. Der Sache wurde auf den Grund gegangen und es zeigte sich, dass der Arbeiter diesen Fehler tatsächlich begangen hatte und damit für die Explosion verantwortlich war. Am gleichen Abend wurde dem Arbeiter vor versammelter Mannschaft eine Sonderzahlung zugesprochen, da er dem Unternehmen mit seiner Ehrlichkeit eine mehrwöchige Untersuchung des Unfalls erspart hatte.
Ob diese Geschichte nun wahr ist oder sich via „stille Post“ verselbständigt hat – es bleibt ein wunderbares Beispiel für einen sehr erwachsenen Umgang mit Fehlern. Sowohl der Verursacher, als auch der Betroffene gehen selbstverständlich davon aus, dass Fehler passieren und dass es nun darum geht, sie zu beheben und für die Zukunft daraus zu lernen.
Karl Weick und Kathleen Sutcliffe haben in Ihrem Buch „Managing the Unexpected“ (Stuttgart 2003) den Begriff der „Hochleistungsorganisationen“ geprägt und mit fünf Merkmalen charakterisiert. Zwei davon sind „intensives Kümmern um Fehler“ und „keine vereinfachten Deutungen und Interpretationen“. Beide Punkte weisen auf die Gefahr hin, dass eine oberflächliche Auswertung von Fehlern – oder sogar deren Verdrängung – dazu führt, dass die ursächlichen Schwächen der Organisation gar nicht erkannt werden und dass das Gefühl von „es läuft doch eigentlich sehr gut“ zu einer unangemessenen Zufriedenheit führt und so etwas wie Früherkennung oder sogar Prophylaxe unterbleiben. Oder in Kürze: Lernen findet nicht statt.
Ein Lieblingsspruch vieler Führungskräfte – auf Klienten wie Beraterseite – lautet: „Komm’ mir nicht mit Problemen, sondern mit Lösungen“. Das ist in der Tat das Gegenteil von dem, was Weick und Sutcliffe propagieren. Dieser Führungsstil führt sehr schnell dazu, dass ich Probleme, für die ich gerade noch keine Lösung habe, eher unter den Teppich kehre, als sie zuzugeben und mir helfen zu lassen. Und wieder findet kein Lernen statt.
Die ideale, sich verstärkende Spirale ist folglich: Berater reflektieren intern mit einem größeren Kollegenkreis und zusammen mit ihren Klienten offen über das laufende Projekt – über Inhalt, Prozess und Beziehung. Dabei findet Lernen statt und Fehler werden behoben und für die Zukunft vermieden. Dadurch stärken sich die Vertrauensbasis und die Beziehungen. Und mit dieser „neuen“, gegenseitigen Wertschätzung ist es dann möglich, noch offener, noch ehrlicher und auch noch kritischer in die nächste Reflektion zu gehen. Und so weiter …
Das würde über kurz oder lang dazu führen, dass …
- Berater sinnlose Projekte auch mal ablehnen
- die eigentliche Projektarbeit erst dann beginnt, wenn der Auftrag und der Scope mit allen Betroffenen kritisch hinterfragt und explizit abgestimmt wurde
- Klienten bereit sind, auch für eine ausführlichere Diagnose und das – heute meist gestrichene – „Kommunikationsmodul“ Geld in die Hand zu nehmen
- beim Kick-off-Meeting der Auftraggeber erklärt, warum es das Projekt gibt und nicht der Berater – und damit seine Führungsverantwortung nicht an den Berater delegiert
- die Klienten in Präsentationen nicht mehr von Slides erschlagen werden, sondern tatsächlich Raum für eine offene Diskussion entsteht
- nicht auf Basis von „Berater-Bullshit-Bingo“ diskutiert wird, sondern mit Hilfe einfacher Sprache, in der es vor allem um inhaltliche Klarheit geht
- sich Berater nicht mehr mit einer arroganten Rüstung gegen den Widerstand und Sticheleien der Klienten wehren müssen
- Widerstand vom Berater erforscht und nicht bekämpft wird
- sich Klienten sicher fühlen können, wenn sie dem Berater ihre ehrliche Meinung zum Projekt mitteilen
- usw.
Da würde das eine oder andere Projekte sicher etwas anders laufen als heute.
4 Fazit
Die Selbstverständlichkeit von Fehlern anzuerkennen und „erwachsen“ damit umzugehen, fördert die gegenseitige Wertschätzung in der Beziehung. Diese ermöglicht eine schnelle Behebung der Fehler und vor allem das Lernen, um zukünftige Fehler zu vermeiden.
Soviel also zu der Frage nach dem Anlass, das eigene Verhalten zu überdenken, und zur Darstellung eines idealen Zustandes. In der nächsten Ausgabe werden wir den möglichen Ursachen des aktuellen Fehler-Verhaltens auf den Grund gehen.
Stay tuned!