Design Thinking – Keine Angst vor Fehlern!
Kaum ein Unternehmen kann sich dem Druck entziehen, den die Digitalisierung globaler Märkte verursacht. Kürzer werdende Innovationszyklen und sich verändernde Marktanforderungen seitens der Kunden zwingen Unternehmen dazu, Altbekanntes in Frage zu stellen und neue Wege zu beschreiten. Design Thinking ist eine Methode, die dabei hilft, diesen Aufbruch ins Unbekannte zu steuern. Mit ihr werden kreative Potentiale eines Unternehmens strukturiert und zielgerichtet freigesetzt – Neuem wird so der Schrecken des Unbekannten genommen.
1 „Prove it“
“‘Prove it!’ is the enemy of innovation. Because you can only prove things, that have happened in the past. A business person who wants innovation, has to be open to the logic what might be, not just the logic of what is.”
Roger Martin
Ob in der Anonymität einer chinesischen Millionenmetropole, einer Garage im Silicon Valley oder einer Berliner Studenten-WG – gute Ideen entstehen überall und finden über das Internet via Crowdfunding-Plattformen oder internationale Investorengelder immer schneller ihren Weg auf den Markt. Ideen, die in den Köpfen Einzelner oder in jungen Unternehmen mit flachen Organisationsstrukturen entstehen. Ideen, die schnell entwickelt, getestet und flexibel angepasst werden. Ideen, die scheinbar aus dem Nichts kommend etablierte Unternehmen aus dem Markt drängen. Der Vorsprung junger Unternehmen hinsichtlich Agilität, Schnelligkeit und Kreativität kompensiert zunehmend die finanzielle Schlagkraft großer Konzerne. Diese müssen, um mit der neuen Konkurrenz schritt- und dem zunehmendem Innovationsdruck standhalten zu können, ihre Arbeitsweise verändern. Um schneller und besser Neues hervor zu bringen, bedarf es internen Wandels. Ein schwieriger und langwieriger Prozess, da an Routine festzuhalten und auf erprobte Handlungs- und Entscheidungsmuster zurück zu greifen oftmals sicherer erscheint, als der erste – notwendige – Schritt ins Unbekannte.
2 Design Thinking als Katalysator nutzerzentrierter Ideen
Doch es gibt Methoden, die Unternehmen helfen, Routinen zu verlassen und Neues zu wagen. Eine Methode, welche in diesem Kontext in den vergangenen Jahren immer mehr Aufmerksamkeit seitens der Wissenschaft und Wirtschaft auf sich gezogen hat, heißt Design Thinking.
Design Thinking stammt ursprünglich aus dem Bereich des Produktdesigns. Als Methode wird Design Thinking jedoch nicht nur in der professionellen Designpraxis genutzt, sondern findet darüber hinaus vielfache Anwendung in anderen Branchen und Kontexten.1 In andere Bereiche übertragen unterstützt Design Thinking Unternehmen dabei, mit neuartigen und komplexen Problemen umzugehen und funktioniert hierbei als systematischer Katalysator für die Entwicklung kreativer und innovativer Lösungen, welche den Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen. Die Design Thinking Methode basiert auf drei Elementen:
- Arbeit in multidisziplinären Teams (die richtigen Leute mit den richtigen Fähigkeiten)
- Einer Arbeitsumgebung, welche sowohl auf physischer als auch auf sozio-kultureller Ebene Kreativität unterstützt (die richtige Umgebung und die richtige Einstellung)
- Einem spezifischen Prozess, der die Teamarbeit strukturiert und Orientierung gibt (die richtige Arbeitsweise)
Der Design Thinking Prozess ist in sechs Phasen unterteilt (siehe Abb. 1) und versteht den Menschen und seine Bedürfnisse als Ausgangspunkt aller Überlegungen sowie als Quelle der angestrebten Innovation.
Deshalb versuchen die Teams in den ersten beiden Prozessphasen die Welt aus der Sicht ihrer zukünftigen Kunden zu betrachten, indem sie durch eine intensive und direkte Auseinandersetzung deren Wünsche und Gefühle erforschen, Empathie aufbauen und so ein tiefgreifendes Verständnis für deren Kontext entwickeln. Die Vielzahl an gewonnenen Erkenntnissen wird im nächsten Schritt mithilfe geeigneter Synthesemethoden in ihrer Essenz verdichtet und in einem gemeinsamen Standpunkt festgehalten. Ausgehend von diesem Standpunkt wird das Team im darauffolgenden Schritt kreativ und entwickelt, frei von bremsenden Rahmenbedingungen und Ängsten, wilde, verrückte und vor allem zahlreiche Ideen zur Problemlösung. Diese Ideen werden anschließend evaluiert, in Form von Prototypen erlebbar gemacht und im direkten Kundenkontakt getestet.
Hierbei gibt es kein „Richtig oder Falsch“, denn Design Thinking strebt nicht an, sofort die einzig richtige Lösung zu finden. Vielmehr sollen die Teams über die schnelle Visualisierung durch Prototypen und das schnelle Einholen von Feedback in einen Lernprozess einsteigen und die Ideen iterativ zu innovativen Lösungen werden lassen – auch wenn dies bedeutet, zwischendurch ein paar Schritte zurückzugehen, Fehler zu wagen und wenn nötig komplett neue Wege einzuschlagen.
3 Das notwendige Element nachhaltiger Innovation: Fehler
Aufbauend auf den Kernelementen Team, Raum und Prozess sowie den Merkmalen Schnelligkeit, Iteration und Mut zum Experimentieren bietet Design Thinking Unternehmen Orientierung auf dem unvertrautem Terrain der Innovationsentwicklung. Design Thinking schafft dabei eine nachvollziehbare Arbeitsstruktur sowie einen Rahmen, der Teams die Sicherheit gibt, Fehler machen zu dürfen und „out-of-the-box“ zu denken. Design Thinking verbindet hierbei analytisches Denken und kreativen Freigeist2, indem es die Angst vor „Fehlern“ nimmt, da diese als notwendiger Bestandteil auf dem Weg zu nachhaltiger Innovation verstanden werden.
Ein „Was wäre wenn …?“ birgt mehr Innovationspotenzial als ein „Na, das müssen Sie mir erst mal beweisen!“ und fördert vor allem eines – Mut zum frühen Scheitern. Dies ermöglicht es Unternehmen schneller und flexibler auf sich ändernde Marktsituationen zu reagieren, das Risiko eines „Flops“ durch eine frühe Überprüfung der Idee am Markt zu senken und durch eine größere Agilität und mehr Freiräume für Kreativität die Innovationsfähigkeit auf lange Sicht zu steigern.
4 Design Thinking angewandt
Ein gutes Beispiel für eine innovative, das Neue umarmende Organisation ist die US-amerikanische Firma Intuit3. Intuit ist ein Hersteller von Standardanwendungssoftware mit ca. 8.500 Mitarbeitern und einem Umsatz von mehr als zwei Milliarden Euro. Mit Hilfe eines unternehmensweiten Design Thinking-Programms und einem klaren Fokus auf Ideenentwicklung, Prototyping und Test der Ideen wurden nicht nur erfolgreiche Produkte und Services geschaffen, sondern nach und nach auch die Unternehmenskultur selbst verändert. Der durchschlagende Erfolg der letzten Jahre – auch im Hinblick auf die Unternehmenskennzahlen – gibt Intuit recht in ihrer Entscheidung für eine schnellere, flexiblere und offenere Art mit Innovation umzugehen.4
Das Beispiel von Intuit zeigt dabei, dass Design Thinking im Unternehmenskontext drei Wirkungsdimensionen umfassen kann, die sich hinsichtlich ihres zeitlichen Horizonts und ihrer Zielsetzung unterscheiden (siehe Abb. 2).
Um durch Design Thinking mehr Schnelligkeit, Flexibilität und Kreativität in die eigene Unternehmens-DNA zu bringen empfiehlt es sich, zunächst mit einem Design Thinking-Workshop (1-5 Tage) zu beginnen, in dessen Rahmen erste Ideen entwickelt, Arbeitsweisen kennengelernt und Stakeholder in ko-kreativen Prozessen beteiligt werden können. Im Rahmen mittelfristiger Projekte (eine Woche bis mehrere Monate) werden bei den Mitarbeitern kreatives Selbstbewusstsein, die Fähigkeit zu konvergentem und divergentem Denken, Empathievermögen und Nutzerzentrierung entwickelt. Langfristig kann mit Hilfe von Design Thinking darüber hinaus eine Form der „Beta-Kultur“ etabliert werden, die neue Perspektiven willkommen heißt, Mut zu Kreativität fördert und frühes Scheitern als essentiellen Erkenntnisgewinn innerhalb eines Lernprozesses begreift.
Unterstützt und angeleitet werden solche Prozesse durch geschulte Design Thinking-Coaches. Zu ihren Aufgaben gehören hierbei die Leitung durch den Prozess, die Vermittlung entsprechender Methoden, die Kreation eines entsprechenden Umfeldes sowie die Etablierung meta-professioneller Fähigkeiten in der Zusammenarbeit in multidisziplinären Teams. Der Vorteil für die Coaches (gelegentlich auch als Facilitator, Berater, o. ä. bezeichnet) liegt in der Vielfalt und Mischung der Aufgaben. So muss der Design Thinking-Prozess auf unterschiedlichen Ebenen begleitet und vermittelt werden, was eine Zusammenarbeit mit den Teams wie auch mit dem übergeordneten Management bedeutet. In der Arbeit selbst verbinden sich Prozessbegleitung und inhaltliche Mitgestaltung durch den Coach, da er Expertenteams prinzipiell innerhalb des von ihm gesetzten Rahmens Freiraum lässt, falls nötig aber auch mit eigener Expertise ergänzend eingreifen kann. Das Zusammenspiel der Faktoren Mensch, Prozess und Umgebung sorgt für spannende und immer wieder neue Kombinationen, in denen die Arbeit des Coaches stattfindet!
5 Fazit
Design Thinking bietet einen klaren methodischen Rahmen, um innerhalb von Organisationen Kreativ- und Innovationsprozesse anzustoßen und zu steuern. Durch die einzelnen Prozess-Phasen werden Ideen Schritt für Schritt entwickelt und die Unsicherheit eines zu Beginn noch unklaren Ergebnisses reduziert. Fehlern wird der Schrecken des Scheiterns genommen, indem sie als produktiv nutzbarer Teil eines Lernprozesses begriffen werden. Langfristig erzeugt eine Organisation dann nicht nur innovative Ergebnisse, sondern auch die Grundlage für die Wiederholung dieser Leistung: Mit kreativem Selbstvertrauen, den entsprechend erlernten Fähigkeiten und innovationsfördernden organisationalen Strukturen.