Beratung von Familienunternehmen – die notwendige Beachtung von Paradoxien
Die Beratung von Familienunternehmen stellt besondere Anforderungen an die Gestaltung des Beratungsprozesses. Aufgrund gleichzeitig wirkender Familien- und Unternehmensrationalitäten ist Beratung immerfort mit Erwartungen konfrontiert, die als paradox beschrieben werden können. Bei einer reinen Fachberatung im Sinne der einseitigen Fokussierung auf die Optimierung der Familien- oder der Unternehmensinteressen besteht das Risiko, überlebensrelevante Wechselbeziehungen zu übersehen, oder aber den Auftrag zu verlieren. Ein systemtheoretisch fundiertes Beratungsverständnis hilft, einen brauchbaren Umgang mit den existentiell wirksamen Paradoxien zu finden.
1 Einleitung
Wer Familienunternehmen berät, ist gut beraten, sich mit dem grundlegenden Charakteristikum dieses Unternehmenstyps zu beschäftigen. In der Familienunternehmensforschung wie auch in der Beratungspraxis haben sich in den letzten Jahrzehnten Konzepte bewährt, die Familienunternehmen als Einheiten widersprüchlicher Rationalitäten beschreiben.1 Diese Konzepte fußen auf einem 3-Kreis-Modell (siehe Abbildung 1), das auf das Zusammenwirken von Familien, Unternehmen und Eigentum hinweisen.

Wie das Bild mit den Kreisen andeutet, sind drei Rationalitäten am Wirken, die im Folgenden kurz mit Blick auf typische Beratungsprozesse skizziert werden. Zuvorderst prägend ist die Gleichzeitigkeit von „Familie“ und „Unternehmen“. Ein Familienunternehmen ist definiert über den bestimmenden Einfluss einer Familie auf ein Unternehmen.3 Dieser Einfluss kann über eine aktive, leitende Tätigkeit von Familienmitgliedern im Unternehmen erfolgen, wird aber garantiert durch einen zumeist mehrheitlichen Eigentumsanteil am Unternehmen. Bei einem Familienunternehmen sind damit soziale Systeme aneinander gebunden (geblieben), die sich seit Beginn der Industrialisierung gesellschaftlich immer stärker voneinander entfernt haben: Eng verwandte Familienmitglieder sind gemeinsam Eigentümer und arbeiten oft auch noch in ihrem Unternehmen. Fragen des ökonomischen Überlebens, Aspekte des Miteinanders der Familienangehörigen und auch gesellschaftsrechtliche Fragen sind aufs Engste miteinander verwoben.
2 Paradoxien als Probleme und Lösungen
Beratungsprojekte in Familienunternehmen geraten vor allem durch die Gleichzeitigkeit von „Ökonomie“ und „Familie“ in die Gefahr paradoxer Verstrickungen. Die Paradoxien speisen sich durch widersprüchliche Systemrationalitäten, die sich besonders deutlich in allen Fragen zeigen, in denen Personen betroffen sind. In einer Unternehmensrationalität werden Personen (also vor allem Mitarbeiter) vornehmlich unter der Funktion, die sie erfüllen und der Kompetenz, die sie dazu mitbringen sollen, beobachtet. In diesem Ausfüllen einer vorher definierten Rolle wird stärker formalisiert und sachorientiert kommuniziert. Funktionsträger sind prinzipiell austauschbar und werden an deren Beitrag zum Unternehmenserfolg gemessen. In einer Familienrationalität hingegen werden vollkommen andere Kriterien an Personen angelegt. Es steht die ganze Person mit ihren Eigenarten und Besonderheiten im Vordergrund. Die Interaktionsmuster sind eher mündlich geprägt, durch Emotion getragen, nicht formalisiert und den individuellen Bedürfnissen oder Traditionen geschuldet. Idealerweise kann sich die Einzelperson in ihrer Individualität erleben und gerade in Zeiten größer Bedürftigkeit auf eine besondere Unterstützungsleistung hoffen. Mitarbeiter werden – wie Mitglieder einer Familie – als nicht austauschbar behandelt.4
Die Herausforderungen im Beratungsprozess resultieren aus dem gleichzeitigen Wirken beider Rationalitäten. Was in dem unternehmerischen Kontext als sinnvoll und unabdingbar bewertet wird, kann im familiären Kontext als grob unangemessen bewertet werden. Die Paradoxie nimmt also die Form an, was „richtig“ ist (im Unternehmensdenken), ist „falsch“ (im Familiendenken) oder andersherum. An die Beratung werden widersprüchliche Erwartungen gerichtet, ohne dass deren paradoxales Zusammenspiel so offen zu Tage tritt, wie in dem Beispiel. Wichtig zu sehen ist, dass mit der benannten Grundanlage eines Familienunternehmens zwangsläufig Entscheidungssituationen entstehen, in denen es keine einzig richtigen Entscheidungen gibt. Typischerweise wird die Paradoxie als eine Überforderung erlebt, in der Beratung helfen soll. Geschäftsführer, Gesellschafter wie Familienmitglieder eines Familienunternehmens äußern oftmals, sich hin- und hergerissen zu fühlen, ob eher für die Familie (und gegen das Unternehmen) oder für das Unternehmen (und gegen die Familie) optiert wird.
Schaut man auf den Beratungsmarkt, so fällt auf, dass sich Beratungsprofessionen jeweils nur auf Probleme innerhalb einzelner Systeme spezialisiert haben. Es finden sich Therapeuten und Fachärzte für Familien und ihre einzelnen Mitglieder, Fachberater für alle möglichen Unternehmensfragen, sowie Gesellschaftsrechtler und Steuerberater für Eigentumsfragen. Kaum zu finden sind jedoch Berater, die den Blick auf das Gesamtsystem werfen und nicht aufgrund der selektiven Fokussierungen Einzelrationalitäten gegen andere „ausspielen“. Wenn mit einem systemischen Beraterblick Systemrationalitäten in ihrer Wirksamkeit hervorgehoben werden, werden Paradoxien und auch Formen des Paradoxiemanagements zu Kernfragen des Familienunternehmens und zur Grundherausforderung der Beratung. Typische paradoxe Situationen, in denen Beratung zwischen Unternehmens- und Familienrationalitäten vermitteln muss, können sein:
- Krisenmanagement: Wird die Produktion in Billiglohnländer verlagert und sind Standorte zu schließen, oder hält man trotz Mehrkosten so lange wie möglich an den Mitarbeitern oder auch dem Stammsitz fest?
- Anorganisches Wachstum: Soll zur Finanzierung des Wachstums ein Investor hinzugezogen werden, eine hohe Verschuldung in Kauf genommen bzw. ein Börsengang angestrebt werden, oder bleiben die Eigentümer autonom und verzichten auf Wachstumschancen?
- Führungsbesetzungen: Werden ausgewiesene Kompetenzträger aus Konzernen integriert, oder wird bekannten, verdienstvollen Mitarbeitern aus eigenen Reihen zugetraut, die Aufgabe zu meistern?
In der Beratung von Unternehmerfamilien treten die folgenden Paradoxien besonders häufig zu Tage:
- Nachfolge: Soll die Kompetenz eines Bewerbers im Verein mit den Führungsanforderungen des Unternehmens das ausschlaggebende Kriterium sein, oder ist die Herkunft aus der Familie und ggf. auch das Gleichheitsinteressen von Geschwistern bzw. relevant?
- Ausschüttungen: Wird der Gewinn im Unternehmen belassen, so dass ein nachhaltiges Wachstum ermöglicht wird (Unternehmensrationalität), oder werden mit möglichst hohen Ausschüttungen die Bedürfnisse der Gesellschafter befriedigt?
- Eigentümerstrategie: Wird mit radikalen Strategiewechseln auf veränderte Weltmarktbedingungen reagiert, oder hält man am Lebenswerk des Gründers bzw. den für die Identität der Gesellschafter wichtigen Produkten und Marken fest?
Wollen Familienunternehmen wie Unternehmerfamilie ihre Existenz langfristig und erfolgreich sichern, so stehen sie vor schwierigen Balanceakten. Neuere Forschungen zeigen, dass in dem intelligenten Ausbalancieren und nicht in der einseitigen Betonung entweder der Unternehmens- oder der Familienrationalität der Wettbewerbsvorteil von Familienunternehmen liegt.5 Beraterseitig ist es angezeigt, hier gemäß den Prämissen der systemischen Organisationsberatung als „Anwalt der Ambivalenz“ zu agieren und die potenziellen Ressourcen, die in der Balancierung der widersprüchlichen Anforderungen liegen, ans Licht zu bringen. So einfach dies einzufordern ist, so voraussetzungsvoll stellt sich ein solches paradoxiebewusstes Beraten in der Praxis dar.
3 Berater in der „double bind“-Falle
Mit der Anforderung, zugleich den familialen wie auch den unternehmerischen Entscheidungskriterien gerecht zu werden, gerät Beratung in eine Situation, die man als „double bind“ (Bateson) bezeichnen kann. Oftmals finden sich im Unternehmen wie in der Unternehmerfamilie Parteien, die jeweils nur eine Seite „sehen“ und sich von der Beratung erhoffen, dass diese die eine Rationalität gegen die andere ausspielt. Deshalb gehört es zu den vordringlichsten Anforderungen des erfolgreichen Arbeitens in Familienunternehmen, von Anbeginn kenntlich zu machen, dass man Verantwortung für beide Seiten der Paradoxie übernimmt. Zugleich ist der Kunden in die Mitverantwortung für die Suche nach Lösungen zu nehmen, die der Familie wie dem Unternehmen gerecht werden. Der Witz eines solchen systemischen Vorgehens besteht darin, dass an die Stelle des blockierenden Gegensatzpaares „Unternehmensrationalität versus Familienrationalität“ ein kreativer Suchprozess tritt, der Lösungen aufzeigt, in denen z. B. auch die Familie davon profitiert, dass man der Unternehmensrationalität folgt oder vice versa langfristig auch das Unternehmen davon profitiert, dass der Familienrationalität gefolgt wird.
4 Fazit
Wenn Berater Familienunternehmen als Einheit widersprüchlicher Rationalitäten definieren, haben sie eine gute Chance, einen beraterischen Zugang zu Paradoxien zu erlangen, die Kunden zumeist als unlösbare Entscheidungssituationen erleben. In zweifacher Hinsicht macht dies einen Unterschied. Dem Berater ein Erklärungsmodell an die Hand gegeben, mit dem er den Kunden aus der Falle der Idee einfacher Lösungen führen kann, und zugleich wird er daran erinnert, seine Beraterposition über die Balancierung (und nicht die Lösung) paradoxer Anforderungen abzusichern.