Beratung im Zeitalter von Big Data
Das Thema Big Data ist zurzeit in aller Munde. Nicht zuletzt tragen Unternehmensberatungen dazu bei, publizieren sie doch eine Vielzahl von Big-Data-Studien und forcieren bei ihren Kunden unzählige Big-Data-Projekte. Parallel verändert Big Data auch das Beratergeschäft selbst, indem neue Methoden Einzug halten und alt bekannte Geschäftsmodelle verändern. Der folgende Beitrag beleuchtet die Chancen und Risiken von Big Data, sowohl für die Unternehmen als auch für die Beratungsunternehmen.
1 Die Welt besteht aus Daten
Daten verändern unser Leben, denn wir selbst – und auch unsere Umwelt – bestehen zunehmend aus Daten. Egal ob der eigene Blutdruck, Amazon-Einkaufslisten, iTunes-Playlists oder Facebook-Kontakte. Alles ist relevant, da jede einzelne Handlung, jeder Like oder der Klick auf eine Webseite etwas über uns als Datenträger aussagt.
Bereits auf dem 2012er World Economic Forum in Davos wurden Daten daher als neuer ökonomischer Asset deklariert, genauso wie Währungen oder Gold. Wir leben also in der Zeit von Big Data. Unter diesem neuen Buzz-Word wird allgemein die Analyse großer Datenmengen aus verschiedenen Datenquellen, in hoher Geschwindigkeit und mit dem Ziel, wirtschaftlichen Nutzen zu erzielen, verstanden. Studien gehen davon aus, dass die Datenproduktion im Jahr 2020 bei etwa 40 Zettabytes (ZB) liegen werden wird. 45 ZB entsprechen ungefähr 57-mal der Menge an Sandkörnern aller Strände der Erde.1
Aus Sicht der Unternehmen und der Unternehmensberatungen hat Big Data den gleichen Impact wie die industrielle Revolution.2Zugleich versprechen die Werbe- und Marketingabteilungen – wieder einmal – die Lösung aller Probleme durch Big Data. Und auch die Beratungshäuser haben den Trend erkannt und bieten unzählige Lösungen an, die Firmen dabei helfen sollen, das ungenutzte „Datengold“3zu heben.
Doch wird der Planet wirklich smarter, wie es IBM in seiner Werbung mit schönen Bildern verspricht. Was sind die Folgen, positiver wie negativer Art?
Und welche Rolle können Unternehmensberater in der neuen Big-Data-Welt spielen? Schaffen sich Unternehmensberater nicht eigentlich selbst ab, indem sie den Kunden Tools in die Hand geben, mit deren Hilfe sie Daten und Prozesse selbstständig und ohne Beratung analysieren und auswerten können?
2 Big Data: What is it good for?
Zurzeit erleben wir eine wahre Explosion an Möglichkeiten. Immer schnellere Rechner und immer ausgereiftere Programme ermöglichen, dass mehr Informationen gesammelt, gespeichert und in Bruchteilen einer Sekunde auch ausgewertet werden können. Den Unterschied zur Vergangenheit beschreibt Thomas H. Davenport, Professor am Babson College Boston auf einer Veranstaltung der Managementberatung Horváth & Partners im September in Stuttgart folgendermaßen:
„Die statistische und mathematische Analyse hat es ja schon immer gegeben. Neu ist, dass der Datenstrom inzwischen dank der Digitalisierung explodiert und sich dabei im selben Maße dynamisch verändert.“4
Die schiere Masse führt allerdings dazu, dass Wahrscheinlichkeiten an die Stelle des Verstehens treten, wie zuletzt Viktor Mayer-Schönberger vom Oxford Internet Institute auf dem re:publica Kongress 2014 in Berlin eindrucksvoll beschrieb5. Nicht der Logarithmus ist entscheidend, sondern die Masse der Daten: Unschärfe wird durch die Datenmenge ausgeglichen. Ein Beispiel aus dem täglichen Alltag beweist schon heute, wie die Ergebnisse quasi stündlich genauer werden: Google Translate. Zwar sind die Übersetzungsversuche oftmals noch recht holprig und oftmals auch amüsant. Jedoch, und hier liegt das Potenzial der Technologie, werden die Ergebnisse von Tag zu Tag besser. Die Zukunftsvisionen aus Star Wars und Star Trek werden schneller Realität, als es sich manch ein Autor vorgestellt hat. Laut Rick Rashid, Chefentwickler von Microsoft, werden wir „nicht mehr bis zum 22. Jahrhundert warten müssen, bis wir so etwas wie den aus Star Trek bekannten Universalübersetzer haben werden.“6
2.1 Big Data verändert die gesamte Industrie
Doch nicht nur für Internetgiganten wie Google, Microsoft, Apple oder Facebook ist Big Data das Zauberwort für Wachstum und Profit. Auch Unternehmen aus den „alten Industrien“ können von Big Data profitieren.
In einer aktuellen PwC-Umfrage gaben 27 Prozent der befragten Entscheider in Industrieunternehmen an, dass sie Big Data bereits konkret aktiv umsetzen. Weitere 36 Prozent gaben an, dass sie konkret planen, Big-Data-Projekte anzugehen. Weitere 30 Prozent gaben an, dass das Thema Big Data diskutiert wird, jedoch noch keine konkreten Planungen bestehen. Und nur für sieben Prozent spielt das Thema keine Rolle.7
Die Unternehmensberatung BCG hat sieben Basismodelle identifiziert, wie Firmen das Potenzial von Big Data nutzen können:8
- Build to Order: Maßgeschneiderte Produkte und Services. Bsp.: Aus Location-Daten verschiedener GPS-Geräte können individualisierte Verkehrsanalysen für städtische Planungsabteilungen zur Verfügung gestellt werden.
- Service Bundle: Verschiedene Angebote werden zu einem Gesamtpaket geschnürt. Bsp.: Versorger können im Rahmen von Cross-Selling-Angeboten sowohl die Gas- als auch die Stromversorgung übernehmen.
- Plug and Play: Jeder Kunde erhält das gleiche Produkt. Bsp.: Banken können Berichte über das Ausgabeverhalten der Bankkunden anonymisiert an mehrere Firmen gleichzeitig verkaufen.
- Pay per Use: Kunden zahlen nur das, was sie wirklich brauchen. Bsp.: Orts- und artspezifische Sportversicherungen
- Commission: Unternehmen können dauerhafte Beziehungen etablieren. Bsp.: Banken können Kreditkartentransaktionen ihrer Kunden analysieren. Dienstleister können auf dieser Basis gegen Gebühr ihren Kunden Rabatte gewähren.
- Value Exchange: Ein Dritter, der zwischen Unternehmen und Kunde steht, bietet Rabatte oder zusätzliche Services an. Bsp.: Zwischenhändler
- Subscription: Abonnements. Bsp.: Patienten kann ein anonymisierter Informationsdienst zur Verfügung gestellt werden, der die eigenen medizinischen Befunde auswertet.
Die Idealtypen werden heute schon – oft auch kombiniert – angewendet.
2.2 „Was sagen die Daten?“
Big Data verändert auch die Art und Weise, wie Entscheidungen in Konzernzentralen getroffen werden können. Laut McKinsey bringt Big Data demnach eine völlig neue Art der Entscheidungsfindung mit sich. Unternehmen können heute mit „kontrollierten Experimenten (…) Hypothesen testen und ihre Geschäfts- und Investitionsentscheidungen von den Ergebnissen leiten lassen“.09 Andrew McAfee und Eric Brynjolfsson, MIT-Experten für die Erforschung von Geschäften im digitalen Zeitalter, gehen sogar noch einen Schritt weiter. Nach deren Auffassung sollten Top-Führungskräfte sich bei „einer wichtigen Entscheidung zur Gewohnheit machen, erst einmal zu fragen: Was sagen die Daten?“10 Daten sollen nicht mehr nur für Entscheidungshilfen von Führungskräften herangezogen werden, sondern viel mehr als primäre Entscheidungsgrundlage dienen. Nach Meinung der beiden Forscher sollen Entscheidungen, ob eine Investition getätigt wird oder nicht, oder ob es sich lohnt, Produkt A im Markt B mit der Preiskategorie C zu positionieren, nur noch getroffen werden, wenn die Daten die Entscheidung untermauern.11
Der Vorteil liegt nach Meinung von McKinsey auf der Hand. Untersuchungen des Beratungshauses und des MIT gehen davon aus, dass Unternehmen, die mit Big Data und Analytics arbeiten, um 5 Prozent produktiver und um 6 Prozent profitabler sind als ihre Wettbewerber. Noch höheres Potenzial wird für den Handel und die Konsumgüterbranche prognostiziert.12
2.3 Haben Daten immer Recht? Nein!
Als positives Beispiel für den Einsatz von Big Data führen die McKinsey-Berater Peter Breuer, Lorenzo Forina und Jessica Moulton in dem Beitrag „Big Data – Wert schöpfen aus dem Datenmeer“13 die Supermarktkette Tesco an: So soll Tesco seinen Erfolg zum Großteil den Erkenntnissen verdanken, die sie durch Big Data und Advanced Analytics gewinnen. Der Grundstein hierfür wurde 1995 mit der Einführung der Kundentreuekarte‚ „Clubcard“ gelegt, mit deren Hilfe Tesco die Käuferdaten systematisch analysiert. Daneben werden auch Online- und Social-Media-Daten ausgewertet. Das Advanced-Analytics-Set, mit dem Tesco arbeitet, umfasst insgesamt 20 Tools. Der Erfolg dieser Maßnahmen zeigt sich u.a. in der Profitabilität. Seit 2000 hat Tesco seine Profitabilität Jahr für Jahr gesteigert und seinen Gewinn bis 2011 auf das Sechsfache erhöht.14
Die deutsche Drogeriekette dm analysiert die Umsatzströme mehrerer Jahre und kann so genauer den Personalbedarf in den Filialen steuern. Der Versandhändler Otto analysiert mit Hilfe einer Spezialsoftware die Bedarfsplanung für das gesamte Sortiment mit der Folge, dass im Durchschnitt 30 Prozent weniger Ware als zuvor gelagert werden muss. Und der Versandriese Amazon will Waren schon vorab bis fast vor die Haustür liefern, bevor überhaupt eine Bestellung ausgelöst wurde. Grundlage hierfür bilden wiederum Daten, die Amazon permanent sammelt und auswertet. Die Liste mit Beispielen von Big-Data-Szenarien ließe sich unendlich fortsetzen.
Doch die Gefahr lässt sich ebenso nicht leugnen, wie das Beispiel Tesco ebenfalls zeigt. Trotz Big Data und ausgeklügelter Advanced-Analytics-Methoden musste Tesco die Gewinnerwartungen für das Geschäftsjahr 2014/2015 erneut senken.15
3 Big Data und Consulting
Beratungsfirmen sind in erster Linie Treiber von Big Data. Zugleich erwächst ihnen aus den Daten zugleich eine neue Konkurrenz.
Nahezu alle größeren Beratungshäuser haben den Trend erkannt und entsprechende Angebote in ihre Portfolios aufgenommen. Auch die Vielzahl der Studien aus den Beratungshäusern zu Big Data zeigen, wie wichtig das Thema in der Zwischenzeit geworden ist. Der Big-Data-Boom, so erklären es die Berater von Roland Berger, habe vor allem damit zu tun, dass in den letzten Jahren große Infrastrukturen aufgebaut wurden, die es ermöglichen kostengünstig und flexibel Datenmengen zu verarbeiten. Allerdings, so die Berger-Berater, fehle vielen Unternehmen der Schlüssel zum Erfolg: Nur mit Hilfe der richtigen „Data-Mining-Fertigkeiten“16 können die Daten richtig interpretiert werden17, oder wie im Zeit-Artikel treffend beschrieben, das „Datengold“18 heben. Das Hauptargument, welches demnach vertreten wird lautet: Daten allein reichen nicht. Es bedarf auch immer der richtigen, Analyse und Interpretation durch Berater.
Aktuell profitieren die Beratungshäuser von der Big-Data-Euphorie. Für sie eröffnen sich neue Horizonte. Folgende Zitate, die aus dem Zeit-Artikel „Wer hebt das Datengold?“19 stammen, zeigen die hohe Erwartungshaltung in der Branche:
- „Big Data verändert das Wirtschaften an sich, und der Effekt ist enorm.“(James Manyika, Chef des McKinsey Global Institute)
- „Big Data ist größer als selbst das größte Unternehmen“ (Phil Evans, Berater der Boston Consulting Group für die Computer-, Internet- und Medienindustrie20
So spiegelt sich Big Data am Ende auch mit Blick auf die Geschäftszahlen als auch bei den Neueinstellungen wieder. Laut der aktuellen Studie des Bundesverbandes der Unternehmensberater (BDU) verfügt bereits Jeder zehnte Junior-Berater über einen Hochschulabschluss der Mathematik oder Naturwissenschaften. Und 15 Prozent können ein Ingenieur-Studium vorweisen.21
Trotz der Euphorie ist der Wandel hin zu den Daten auch mit einem Ende altbekannter Geschäftsmodelle verbunden. Zugleich ergeben sich zum anderen aber auch vielseitige Herausforderungen. Waren noch vor ein paar Jahren unzählige Business-Analysten damit beschäftigt, Daten zu sammeln und auszuwerten, übernehmen das immer mehr sogenannte Big-Data-Spezialisten. Die Daten stehen ferner nicht nur exklusiv den Beratungsfirmen, sondern zugleich auch den Kunden zur Verfügung.22
Viele Firmen haben ihr Portfolio umgestellt und nahezu jedes Beratungshaus hat in den letzten Jahren ihre Kompetenzen im Big-Data-Bereich kontinuierlich ausgebaut. Daneben verstärken Wirtschaftsprüfungsgesellschaften wieder vermehrt ihre Strategiekompetenz. Ihr Ziel ist, sowohl die vorliegenden Daten zu sammeln und zu analysieren als auch sie strategisch auszuwerten. Und neben den alten Bekannten treten auch neue Anbieter auf dem Markt auf, die mit maßgeschneiderten Angeboten flexibel auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen. Und nicht zuletzt haben Kunden selbst auch Möglichkeiten, ihre Daten entsprechend auszuwerten, auch ohne teure Beratungsmandate. Die Frage, die sich spätestens nach den großen Implementierungsprojekten immer öfter stellen wird, lautet, ob überhaupt noch Berater notwendig sind, angesichts der vorhandenen Daten und der zur Verfügung stehenden Instrumente.
Die Antwort hierauf kann, trotz der Vielzahl der Daten, nur hypothetisch erfolgen. Es ist zu vermuten, dass Big Data die Unternehmensberatungen nicht abschaffen können. Noch sind die Beratungshäuser klar im Vorteil, wenn es darauf ankommt, die notwendigen Talente zur rekrutieren, die in der Lage sind, aus Daten Strategien zu entwickeln. Daten alleine reichen nicht aus, um die Welt zu verstehen. Es bedarf, neben den Tools, auch derjenigen, die die Tools entwickeln, verstehen und, falls notwendig, auch anpassen können. Letztlich wird die Frage somit auch über die Talente entschieden. Und hier haben die Beratungsgesellschaften noch einen großen Vorteil gegenüber anderen „normalen“ Arbeitgebern, nämlich Beweglichkeit.23 Kaum ein anderer Arbeitgeber kann so schnell auf die Bedürfnisse des Marktes reagieren und die entsprechenden Talente rekrutieren, wie Unternehmensberatungen.
Die neuen Daten-Möglichkeiten eröffnen zudem völlig neue Beratungsfelder und Dienstleistungen, welche heute nur schemenhaft in den Daten abzulesen sind.
Konkrete Beispiele, wie Unternehmensberatungen Big Data Projekte umsetzen, beschreiben Stefanie King und Thomas Jakoby in den Beiträgen in dieser Ausgabe.
4 Who wins: Big Data or Consulting?
Big Data verändert nicht nur ganze Industrien, sondern auch die Beraterbranche. Diese befindet sich ebenso in einer Phase der Neuausrichtung. Der Beratermarkt, so viel ist sicher, wird 2020 ein anderer sein, als er es heute ist. Wie genau, dass lässt sich – noch nicht – aus den vorliegenden Daten ableiten. Aber, so die Hoffnung, wird die Welt am Ende doch ein wenig smarter werden, wenn Berater-Know-how und Big Data zu einer Symbiose geworden sind. Denn schon heute kann als Fazit festgehalten werden: Big Data kann nicht ohne Beratung und Beratung kann nicht (mehr) ohne Big Data. Daher heißt die Antwort: Es gewinnt niemand oder beide!